Viele Anbieter auf dem deutschen Glücksspielmarkt hatten große Hoffnungen für das Jahr 2020. Die lang ersehnte Liberalisierung der Glücksspielregulierung stehe endlich vor der Tür: Im Januar trat das neue Lizenzierungsverfahren für Sportwetten in Kraft, und die Antragsteller rechneten damit, kurz darauf eine entsprechende Genehmigung zu erhalten. Im März – nach mehrjährigen Verhandlungen, einem bereits gescheiterten Gesetzesentwurf, Liberalisierungsmaßnahmen und „Alleingänge“ aus Schleswig-Holstein – einigten sich die Bundesländer schließlich auf ein neues, stärker liberalisiertes Gesetz, das im Juli 2021 in Kraft treten sollte.
Nach diesem zunächst vielversprechenden Jahresauftakt folgte jedoch schnell Ernüchterung. Noch bevor die erste Sportwettenkonzession erteilt wurde, stellte das Verwaltungsgericht Darmstadt im April das Sportwettenkonzessionsverfahren mit sofortiger Wirkung ein. Es besteht daher die Befürchtung, dass es statt der zu erwartenden Reformierung nur zu einer weiteren Verunsicherung des Glücksspielmarktes kommen wird.
Der neue deutsche Glücksspiel-Staatsvertrag
Im März 2020 einigten sich die deutschen Bundesländer auf einen neuen deutschen Glücksspiel-Staatsvertrag (ISTG 2021). Das neue Gesetz soll am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Es wurde der Europäischen Kommission zur Notifizierung vorgelegt. Nach dem Ende der Stillhaltefrist im August muss es noch von den einzelnen Länderparlamenten ratifiziert werden.
Der Entscheidung über das neue Gesetz gingen Jahre der Rechtsunsicherheit, zahlreiche Gerichtsverfahren und widersprüchliche Ansichten der verschiedenen Landesregulierer voraus. Dementsprechend wurde es weithin begrüßt, dass sich die Bundesländer nun auf ein neues Regelwerk geeinigt haben, das den Online-Glücksspielmarkt einschließlich Online-Poker und in gewissem Umfang auch Online-Casinospiele öffnen wird. Dennoch ist die Begeisterung der Marktteilnehmer nicht grenzenlos, da das Gesetz sehr strenge Anforderungen vorsieht.
Die wohl relevanteste Änderung betrifft die Liberalisierung des Online-Glücksspielmarktes durch ein Lizenzierungsverfahren. Das Gesetz sieht ein Verfahren zur Erlangung einer Lizenz für das Angebot von Online-Sportwetten, virtuellen Spielautomaten (Online-Simulationen von terrestrischen Spielautomaten) und Online-Poker vor. Die Lizenzen gelten für einen Zeitraum von fünf Jahren. Die Regelung schließt Online-Casinospiele nicht ein. Diese sind definiert als virtuelle Simulationen von Casinospielen (wie Black Jack und Roulette) und Live-Übertragungen von terrestrisch durchgeführten Casinospielen mit der Möglichkeit der Teilnahme über das Internet. Die Möglichkeit, eine Lizenz für Online-Casinospiele zu erhalten, unterliegt separaten Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten. Wahrscheinlich wird der Gesetzgeber die Gesetze nach den Vorgaben für eine Lizenz zum Betrieb eines landgestützten Kasinos modellieren.
Die Voraussetzungen für den Erwerb einer Lizenz zum Anbieten von Online-Sportwetten (als Wettanbieter für Deutschland), virtuellen Spielautomaten und Online-Poker sind sehr ähnlich und unterscheiden sich nur in bestimmten Themenbereichen. Die Hauptaspekte der gemeinsamen Anforderungen umfassen die folgenden:
Kaution: Der Antragsteller muss eine Kaution von mindestens 5 Millionen Euro hinterlegen. In Einzelfällen kann dieser Betrag bis zur Höhe des erwarteten monatlichen Durchschnittsumsatzes (maximal 50 Millionen Euro) erhöht werden.
Bereitstellung von Online-Glücksspielangeboten: Soweit verschiedene Online-Glücksspielangebote über dieselbe Internet-Domain bereitgestellt werden, muss der Betreiber für jede Glücksspielform einen unabhängigen und grafisch getrennten Bereich zur Verfügung stellen. Die Abteilung verbietet auch Cross-Werbung. Ein Spieler darf nicht zur gleichen Zeit in verschiedenen Bereichen spielen.
Werbung: Werbung ist grundsätzlich erlaubt. Es gibt jedoch zeitliche Beschränkungen. Ferner enthält die Lizenz obligatorische Angaben, die vom Anbieter zusammen mit der Werbung zu machen sind.
Spielerkonten und Einschränkungen:
Spieler müssen ein Spielerkonto für mehrere Anbieter erstellen. Das bedeutet ein Konto, das zum Spielen auf Plattformen verschiedener Anbieter verwendet werden soll. Für die Erstellung des Kontos sind die wahren Zugangsdaten des Spielers erforderlich, die vom Anbieter überprüft werden müssen.
Ein Spieler darf nicht gleichzeitig Angebote verschiedener Anbieter spielen.
Bei der Registrierung auf einer Website muss der Spieler ein monatliches Einzahlungslimit von maximal 1.000,00 EUR festlegen. Das Limit gilt pro Spieler und nicht pro Anbieter. Das bedeutet, dass ein Spieler in der Regel 1.000,00 EUR pro Monat über alle Glücksspielplattformen hinweg verwenden darf.
Die Einhaltung des Limits wird von der zuständigen Behörde über eine zentrale „Limit-Kontrolldatei“ überwacht. Die Anbieter müssen eine Gebühr für die Verbindung mit der Limit-Kontrolldatei und deren Nutzung entrichten.
In Bezug auf Online-Sportwetten lassen die Behörden mehr Flexibilität zu als bei der derzeitigen Regelung. Wetten werden sowohl auf den Ausgang eines Spiels als auch auf Ereignisse während des Spiels oder eine Kombination aus beidem erlaubt sein. Auch Live-Wetten werden unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein.
Darüber hinaus sieht das Gesetz organisatorische Änderungen vor. Die deutschen Bundesländer werden eine gemeinsame Glücksspielaufsichtsbehörde einrichten. Damit werden die Lizenzen künftig von einer einzigen Behörde erteilt (und durchgesetzt). Parallelverfahren in verschiedenen Bundesländern wird es daher nicht mehr geben.
In den nächsten Monaten bis zum Inkrafttreten der neuen Regelungen hat die hessische Aufsichtsbehörde bereits zugestimmt, laufende Verfahren auszusetzen. Stattdessen versucht die Behörde, für die Übergangszeit eine außergerichtliche Regelung mit den Anbietern zu finden. Es bleibt abzuwarten, ob andere Aufsichtsbehörden diesem Beispiel folgen werden.
Déjà-vu zu Sportwetten-Lizenzen
Unabhängig von der ab Juli 2021 geltenden Liberalisierung hatten die Bundesländer bereits 2019 ein überarbeitetes Glücksspielgesetz verabschiedet, das die Vergabe von Lizenzen für Online-Sportwetten ab Januar 2020 erlaubt. Anfang April 2020 stellte das Verwaltungsgericht Darmstadt das Verfahren zur Vergabe von Sportwettenlizenzen ein. Das Urteil erinnert stark an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom November 2016, das damals das hessische Duldungsverfahren aussetzte und später vom Hessischen Oberverwaltungsgericht bestätigt wurde. Die hessischen Entscheidungen waren das Ergebnis eines mehrjährigen Verfahrens, in dem trotz des gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsverfahrens keine einzige Genehmigung erteilt wurde.
Ausgangspunkt des Verfahrens 2020 war die Klage eines österreichischen Betreibers, der den Eintritt in den deutschen Markt anstrebt. Der Kläger rügte eine mangelnde Transparenz des Konzessionsverfahrens, wodurch das gesamte Verfahren diskriminierend sei. Das Verwaltungsgericht Darmstadt folgte dieser Argumentation. Es setzte die Konzessionsvergabe vorübergehend aus und forderte die zuständige Behörde auf, die festgestellten Mängel zu beseitigen. Es ist unklar, wie und insbesondere wann das Verfahren revidiert werden soll. Darüber hinaus ist unklar, ob die Mängel der Genehmigungsverfahren zu einer faktischen Duldung von Sportwettangeboten – wie im Jahr 2016 geschehen – führen werden. Jedenfalls könnte die Frage möglicherweise nicht vor dem Inkrafttreten der neuen Verordnung über Online-Glücksspiele im Juli 2021 gelöst werden. Die hessische Aufsichtsbehörde hat gegen den Gerichtsbeschluss Berufung eingelegt; das Verfahren ist noch anhängig. Hebt das Gericht den Bescheid auf, wird das Genehmigungsverfahren wieder aufgenommen. Sportwettenlizenzen, die vor dem 1. Juli 2021 erteilt wurden, würden dann bis zum 31. Dezember 2022 wirksam bleiben.
Sperrung von Zahlungen
Die zuständige Aufsichtsbehörde hat 2019 begonnen, Vollstreckungsmaßnahmen gegen Zahlungsanbieter zu ergreifen, indem sie Verbotsverfügungen erließ. Infolgedessen haben einige Zahlungsdienstleister die Bearbeitung von Zahlungen im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen eingestellt und ihre Geschäftsbedingungen entsprechend angepasst. Diese Konsequenz ist jedoch nicht zwingend, da entsprechende Verfügungen potenziell rechtswidrig sein könnten. In einem anderen Zusammenhang stellten deutsche Gerichte fest, dass es dem Zahlungsdienstleister kaum möglich war, die Rechtmäßigkeit der angebotenen Glücksspielangebote zu überprüfen, da bereits nicht erkennbar war, von wo aus der Spieler die Spielangebote in Anspruch nahm und welche Spiele er tatsächlich spielte. Dies ist insofern relevant, als eine große Anzahl von Glücksspielangeboten in anderen Ländern rechtmäßig sind. Somit kann der Zahlungsdienstleister nicht beurteilen, ob jedes einzelne Spiel tatsächlich ein unzulässiges Glücksspiel darstellt. Ferner bestehen begründete Zweifel an der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit finanzieller Sperrmassnahmen.
Ansprüche auf Rückerstattung
Betreiber von Online-Casinos erhalten regelmäßig Briefe von Spielern (oder ihren Anwälten), in denen sie ihre Einsätze zurückverlangen. Die Forderung wird in der Regel damit begründet, dass das Glücksspielangebot illegal sei, wenn der Anbieter nicht über eine entsprechende Lizenz verfüge und die Zahlung daher ohne rechtliche Grundlage erfolgt sei.
Es ist jedoch fraglich, ob diese Anträge auf Rückzahlung von Einsätzen gültig sind. Zum einen bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des deutschen Glücksspielrechts. Allein schon aus diesem Grund kann das Argument der Rechtswidrigkeit des Angebots angefochten werden. Zum anderen ist aber auch zu beachten, dass, wenn das Online-Casino Angebot tatsächlich rechtswidrig wäre, der Spieler auch durch die Teilnahme an den Online-Spielen rechtswidrig handeln würde. Rückerstattungsansprüche sind bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote ausgeschlossen. Damit wäre also auch ein Rückerstattungsanspruch anfechtbar.
Strafrechtliche Implikationen
Im Juni 2020 veröffentlichte der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung vom Februar 2020. Das Urteil betrifft eine stark erweiterte strafrechtliche Haftung von Anbietern von Glücksspielen . Obwohl es sich auf den Betrieb eines landgestützten Kasinos bezog, kann das Urteil möglicherweise Auswirkungen auf die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Anbietern von Online-Glücksspielen haben.
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand eine strafrechtliche Bestimmung. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet die Veranstaltung von Glücksspielen ohne behördliche Spielgenehmigung. Von dieser Bestimmung haben die Strafverfolgungsbehörden in der Vergangenheit nur begrenzt Gebrauch gemacht. Ein Grund dafür waren die Unsicherheiten, die mit dem Angebot von Glücksspielen in Deutschland verbunden sind, und die Argumente für die Nichtübereinstimmung des deutschen Glücksspielrechts mit dem EU-Recht. Im Hinblick auf die Entscheidung des BGH würde dieser Aspekt möglicherweise an Bedeutung verlieren. Das Gericht begründete die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit der bloßen Tatsache, keine Glücksspiellizenz zu besitzen, selbst wenn eine Lizenz beantragt und diese von den Behörden rechtswidrig verweigert worden sei.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Entscheidung tatsächlich bis Juli 2021 auf den Glücksspielmarkt auswirkt. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Zahl der Strafverfahren zunehmen wird – Verfahren gegen Tipico, Bwin und Bet3000 sind bereits eingeleitet worden.